Heute am 3. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen, blicken wir zurück auf ein Jahr voller Fortschritte, Herausforderungen und kontroverser Debatten. 2024 zeigte einmal mehr, wie weit Deutschland auf dem Weg zur Inklusion gekommen ist – und wie viel noch zu tun bleibt. Politische Maßnahmen, gesellschaftliche Entwicklungen, große Ereignisse wie die Paralympics und Kontroversen z. B. um den RTL-Spendenmarathon, sowie die mediale Berichterstattung haben das Jahr geprägt.
Lichtblicke: Fortschritte in Politik und Gesellschaft
In Deutschland gab es 2024 einige positive Entwicklungen. Mit dem Inklusionspaket der Bundesregierung wurde ein entscheidender Schritt in Richtung inklusiver Bildung unternommen. Mehr Mittel für den barrierefreien Ausbau von Schulen sowie für inklusives Lehrmaterial wurden bereitgestellt. Modellprojekte in mehreren Bundesländern zeigten, dass gemeinsames Lernen von Schüler*innen mit und ohne Behinderungen nicht nur möglich ist, sondern auch die gesamte Schulgemeinschaft bereichert.
Auf dem Arbeitsmarkt gab es ebenfalls Fortschritte: Über 10.000 neue Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen wurden durch gezielte Förderprogramme geschaffen. Unternehmen, die inklusiv arbeiten, wurden sichtbarer, unter anderem durch eine große Kampagne, die Unternehmer*innen und Führungspersönlichkeiten mit Behinderungen vorstellte. Diese Vorbilder zeigten eindrucksvoll, wie Potenziale entfaltet werden können, wenn Barrieren – sowohl physische als auch in den Köpfen – abgebaut werden.
Auch im öffentlichen Raum gab es Fortschritte. Städte wie Berlin und München investierten verstärkt in barrierefreie Bushaltestellen, Gehwege und Ampelsysteme. Doch trotz dieser Bemühungen bleibt der Weg zu einer flächendeckenden Barrierefreiheit noch weit – wie der Zustand vieler Bahnhöfe oder der digitale Raum deutlich machen.
Rückschläge: Wo Deutschland noch immer scheitert
Leider gab es auch 2024 zahlreiche Rückschläge. Besonders der Zustand der Barrierefreiheit in Deutschland war ein Dauerthema. Ein Bericht zeigte, dass mehr als 30 % der Bahnhöfe für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen nicht zugänglich sind. Zwar hat die Deutsche Bahn Verbesserungen bis 2030 versprochen, doch viele Betroffene empfinden den Fortschritt als zu langsam.
Auch die Digitalisierung bleibt ein Sorgenkind. Laut dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband sind viele staatliche Websites und digitale Dienste nach wie vor nicht barrierefrei. Dies stellt gerade in einer zunehmend digitalisierten Welt ein erhebliches Hindernis dar.
Zusätzlich sorgte die unzureichende Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes für Frustration. Menschen mit Behinderungen berichteten von komplizierten Antragsverfahren, mangelnder Unterstützung durch Behörden und dem Gefühl, allein gelassen zu werden. Hier zeigt sich, dass es oft nicht an den Gesetzen selbst fehlt, sondern an ihrer konsequenten Umsetzung.
Durch das Zerbrechen der Ampel-Koalition, sind viele im Koalitionsvertrag gesetzten Ziele nur noch Schall und Rauch. Hier war angedacht, auch die Privatwirtschaft stärker zur Barrierefreiheit zu verpflichten.
Paralympics 2024: Ein Fest des Sports – und der Inklusion?
Ein besonderes Highlight des Jahres waren die Paralympischen Spiele 2024 in Paris, die Millionen Menschen weltweit begeisterten. Die Athletinnen beeindruckten mit ihren Leistungen, und die Spiele boten eine wichtige Plattform, um die Themen Behinderung und Inklusion in den Fokus zu rücken. Deutschland schnitt sportlich stark ab, mit einer Rekordzahl an Medaillen, und viele Sportlerinnen nutzten ihre mediale Präsenz, um für Barrierefreiheit und Chancengleichheit zu werben.
Das mediale Echo auf die Paralympics war größtenteils positiv, doch auch hier gab es Kritik. Während öffentlich-rechtliche Sender wie ARD und ZDF ausführlich berichteten und die Geschichten der Athletinnen einfühlsam präsentierten, wurde bemängelt, dass private Medien den Spielen weniger Aufmerksamkeit widmeten. Zudem kritisierten einige Stimmen, dass Athletinnen mit Behinderungen in der Berichterstattung oft auf ihre „Inspiration“ reduziert wurden, anstatt ihre sportlichen Leistungen und Professionalität in den Vordergrund zu stellen. Trotzdem haben die Paralympics gezeigt, wie stark Sport Barrieren überwinden und die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen kann.
Die Medienlandschaft: Hoffnung und Hindernis
2024 spielten die Medien eine ambivalente Rolle. Während Formate wie die ARD-Dokumentation „Leben ohne Barrieren“ eindrucksvoll zeigten, wie Inklusion gelingen kann, gab es auch Rückschläge. Noch immer wird viel zu oft die "Mitleidschiene" bedient, wenn es um Berichterstattung über (und oft nicht mit!) Menschen mit Behinderung geht.
Auf der positiven Seite boten soziale Medien eine Plattform für selbstbestimmte Darstellungen. Influencer*innen mit Behinderungen erreichten auch 2024 mit humorvollen und ehrlichen Einblicken in ihren Alltag ein breites Publikum. Sie trugen dazu bei, Klischees zu hinterfragen und das gesellschaftliche Bewusstsein zu stärken.
Talkshows wie „Hart aber fair“ thematisierten wichtige Aspekte von Inklusion, etwa in der Arbeitswelt. Menschen mit Behinderung kamen selbst zu Wort, was zeigte, wie entscheidend es ist, nicht über ihre Köpfe hinweg zu diskutieren, sondern ihnen Raum zu geben, ihre Perspektiven zu teilen.
Muss es immer Charity sein? Der RTL-Spendenmarathon polarisiert
Ein weiteres mediales Großereignis war der RTL-Spendenmarathon, der über 25 Millionen Euro für soziale Projekte sammelte, darunter auch für Initiativen, die Menschen mit Behinderungen unterstützen. Die Spendensumme ist beeindruckend, doch das Event zog auch Kritik auf sich.
Aktivist*innen und Organisationen bemängelten, dass Menschen mit Behinderungen in den Beiträgen häufig in einer Weise dargestellt wurden, die Mitleid erregen sollte, anstatt sie als starke, selbstbestimmte Persönlichkeiten zu zeigen. Solche Narrative verfestigen Vorurteile und lassen Menschen mit Behinderungen als „hilfsbedürftig“ erscheinen, statt ihre Potenziale und Rechte in den Mittelpunkt zu stellen.
Zudem wurde die grundlegende Frage aufgeworfen, warum solche Projekte überhaupt auf Spenden angewiesen sind. Barrierefreiheit und Unterstützung sollten nicht von Charity-Aktionen abhängen, sondern als Selbstverständlichkeit vom Staat gewährleistet werden. Diese Debatte zeigte, wie wichtig strukturelle Veränderungen sind, anstatt sich allein auf wohltätige Initiativen zu verlassen. Generell ist es ja auch so, dass viel zu oft die Arbeit von Menschen mit Behinderungen in Deutschland schnell mit Charity-Arbeit in Verbindung gebracht wird. Viele von uns machen aber auch ganz "normal" ihren Job, sei es als Aktivist*in oder einer anderen Arbeit.
Wo stehen wir heute?
2024 war ein Jahr voller gemischter Botschaften. Es gab Fortschritte in der Politik, im Arbeitsmarkt und in der Bildung, aber auch Rückschläge durch fehlende Barrierefreiheit, gesellschaftliche Vorurteile und problematische mediale Darstellungen. Der heutige Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen erinnert uns daran, dass Inklusion keine Aufgabe ist, die allein der Politik oder Wirtschaft überlassen werden kann. Sie beginnt im Alltag – bei jedem von uns.
Ob im Umgang mit Medien, bei der Unterstützung inklusiver Projekte oder durch das eigene Engagement für Barrierefreiheit: Jeder Schritt zählt. 2024 hat gezeigt, dass Veränderungen möglich sind, wenn wir sie gemeinsam angehen. Lasst uns diese Hoffnung nutzen, um weiter für eine gerechtere, barrierefreie Welt zu kämpfen – heute und jeden Tag.