Barbara E. Euler

Autorin Barbara E. Euler zeigt ihren Brügge-Krimi "Raphaels Rückkehr"

Der Rollstuhlfahrer aus dem Supermarkt und was dann geschah

Da war dieser Kunde in einem Supermarkt in Brügge. Ich bin oft in Brügge. Ich liebe diese Stadt, mehr als alle anderen, seit ich vor über 30 Jahren mit meinem Mann, der aus Brügge stammt, das erste Mal herkam. Jetzt also dieser Kunde. Er fällt auf. Ein Berg von einem Mann, breite Arme, heftig tätowiert. Komm mir bloß nicht zu nahe, sagt irgendwas an ihm. Aber er sitzt im Rollstuhl.

Er ist ganz allein unterwegs

Der Markt von Brügge, ein Schauplatz des Krimis "Raphaels Rückkehr"

Er hat keine Beine, stattdessen schiebt er einen von diesen blauen Plastiktrolleys vor sich her. Er ist ganz allein unterwegs. Auch das fällt auf. Später sehe ich ihn nochmal, auf dem Parkplatz. Einkäufe in den Kofferraum, Trolley zurückbringen, wiederkommen. Puh. Jetzt sitzt er neben dem Wagen und raucht. Sicher ganz schön anstrengend, so einzukaufen, denke ich. Respekt. Schließlich hievt er sich auf den Fahrersitz, baut seinen Rollstuhl auseinander, verstaut ihn und fährt weg.

Mir geht das nach. Dieses Zusammentreffen von Coolness und Verletzlichkeit berührt mich. Ich schreibe einen kurzen Text über den Unbekannten. Aber das reicht nicht. Bald wird er in meinem Kopf zu einer Romanfigur. Ja, genau! Wenn ich ein ganzes Buch schreibe, kann ich meine Eindrücke ausführlich verarbeiten und umsetzen.

Aus einer Begegnung wurden viele

Und so kam es, dass ich einen Krimi über Raphael Rozenblad schrieb, Hauptinspektor bei der Polizei in Brügge. Ich ließ meiner Fantasie freien Lauf und erschuf einen kettenrauchenden, fluchenden Rabauken mit rauer Schale und weichem Kern, rücksichtlos hingegeben an seinen Beruf. Oh, hat das Spaß gemacht! Und wie ich bei der Recherche unterstützt wurde! Die Polizisten im schicken neuen Polizeihauptquartier, denen ich Fragen zu stellen begann, luden mich zu einer Führung ein und berieten mich auch später sehr engagiert. So wurden aus einer Begegnung viele. Noch dazu lernte ich, kurz nachdem ich mit dem Schreiben begonnen hatte, den Bestsellerautor Viktor Staudt kennen, der ebenfalls ohne Beine im Rollstuhl saß und mir mit seinen Büchern und Blogs wertvolles Hintergrundwissen über das Leben im Rollstuhl für meinen Krimi lieferte. Ich begegnete ihm auf einer Bahnreise. Zufall? Wer weiß. Damals kannte ich in gar nicht. Später wurden wir gute Freunde, bis zu seinem Ende, aber das ist eine Geschichte für sich.

Das Polizeihauptquartier von Brügge, "Politiehuis" genannt. Hier hat Hauptinspektor Raphael Rozenblad, der Held des Krimis "Raphaels Rückkehr", sein Büro.

Vier Jahre lang hielt ich nach ihm Ausschau

Begegnungen also, unendlich viel Schreibfreude, der Stolz, einen ganzen Krimi geschrieben zu haben, der meine Lieblingsstadt aufs Podest hebt und noch dazu, wie meine Probeleser bestätigten, ganz schön spannend ist. All die Zeit dachte ich: Wenn ich den Mann doch noch einmal treffen könnte, um ihm von alledem zu erzählen und ihm meinen Respekt zu bezeugen. Vier Jahre lang hielt ich nach ihm Ausschau, bei jedem Besuch in Brügge: im Supermarkt, auf der Straße, überall. Ich malte mir aus, wie ich ihn ansprechen würde, was ich ihm sagen würde. Ich fand mich selber naiv.

An diesem Stadtkanal rast Krimi-Figur Raphael Rozenblad in einer Szene in seinem Rollstuhl entlang zu einem wichtigen Treffpunkt.

Bis ich den Mann vier Jahre später tatsächlich wieder traf. Am baumgesäumten Kanal zwischen Brügge und dem kleinen Städtchen Damme. Ich machte eine Radtour, er trainierte mit dem Rennbike. Nur weil ich es vier Jahre lang durchgespielt hatte, wagte ich ihn anzusprechen, ihm mein Visitenkärtchen zu geben und ihm von dem Buch zu erzählen. Er war sehr freundlich und hörte sich meine Geschichte an. Nein, sagte er auf meine wiederholte Frage, er finde es überhaupt nicht schlimm, dass ich ihn angesprochen habe. Nach einem kurzen Gespräch rollte jeder wieder seiner Wege. Dieser Moment wird immer ein Riesengeschenk in meine Leben sein.

Das Buch war zu dem Zeitpunkt geschrieben, aber noch nicht veröffentlicht. Als ich es im Frühjahr darauf selber herausbrachte – einen Verlag hatte ich nicht gefunden – wollte ich unbedingt, dass der Mann, dessen Namen ich im Übrigen immer noch nicht kannte, auch eins bekommt. Auch wenn es auf Deutsch geschrieben ist. Was blieb mir übrig, als den Supermarkt zu kontaktieren: Ob dort noch immer ein Mann ohne Beine im Rollstuhl mit ganz vielen Tätowierungen einkauft, dass ich ihn mal getroffen hatte und ob ich für ihn dieses Buch in den Supermarkt schicken dürfte? Gesagt, getan. Und auch hier wieder: viel Freundlichkeit. Sie kannten ihn gut dort in dem Supermarkt und klar könnte ich das Buch schicken, sie würden es ihm geben und vielleicht würde er mir schreiben.

Jetzt verstand ich, woher diese Ausstrahlung kam

Kurz darauf, das Buch war noch gar nicht unterwegs, eine Mail: „Hallo, ich bin Serge, der Rollstuhlfahrer aus dem Carrefour …“. Mit Sportler-Bild und vollem Namen. Serge Van Belle. Im Netz fand ich Zeitungsartikel über den Arbeitsunfall im Hafen von Zeebrugge und viele Berichte über eindrucksvolle sportliche Leistungen, unter anderem beim Triathlon und als Mitglied der belgischen Nationalmannschaft Para-Darts. Wow, dachte ich. Ein Leistungssportler. Jetzt verstand ich auch, woher diese Ausstrahlung kam!

Dass es das Buch gibt, freut Serge sehr. Er fiebert schon auf meine, wenn auch nicht perfekte, flämische Übersetzung hin, an die ich mich vor allem dank dieser Ermutigung gewagt habe. Auch das bereitet mir wieder viel Freude, ganz zu schweigen von einem zweiten Brügge-Krimi, den ich mittlerweile schrieb.

Spiegelrei, eine typische Straße an einem der Stadtkanäle von Brügge. Hier ist Krimi-Figur Raphael Rozenblad, der rollstuhlfahrende Hauptinspektor aus "Raphaels Rückkehr", noch auf seiner Harley entlanggeknattert.

Voll freudiger Erwartung auf das Neue

Dank Print on Demand steht nun auch Serges Name bei den Danksagungen in meinem Buch, natürlich in Absprache mit ihm. Und er schlug vor, dass wir uns mal treffen, wenn ich wieder in Brügge bin. Das haben wir auch gemacht. Herrlich entspannt geschwatzt, über Ernstes und Lustiges; mein Mann, Serge und ich, stundenlang. Zwei „Vlaamse jongens“ aus derselben Gegend, der vertraute, weiche Dialekt, wir hatten es wirklich schön und Serge meinte hinterher: Das machen wir jetzt jedes Jahr!

Seine Herzlichkeit und seine offene Haltung, so voll freudiger Erwartung auf das Neue, haben mich schwer beeindruckt. Als er vom Handbike-Training erzählte, sagte er sinngemäß: Früher auf dem Rad ist alles an mir vorbeigerauscht. Jetzt, vom Handbike aus, sehe ich auch mal ein rosa Blümchen stehen.

Diese Einstellung ist für mich das Größte.

Der Belfort in Zentrum von Brügge. Zu seinen Füßen startet eine dramatische Verfolgungsjagd im Krimi "Raphaels Rückkehr".
Das Buch:
„Raphaels Rückkehr“, Krimi, Barbara E. Euler,ISBN 978-3-752943-65-8 (Taschenbuch),  978-3-7502-3430-7 (E-Book)
Überall, wo’s Bücher gibt.
YouLife Magazin Eure Erlebnisse (Link zur Quelle)
Mit besten Dank an die Autorin

Dieser Artikel könnte dir auch gefallen...

2 StarWars LEgofuren von denen eine im Rolstuhl sitzt

DIE NEGATIVE SEITE DES REISENS ALS ROLLSTUHLFAHRER

Anthony Williams persönliche Mission ist einfach. Er möchte der erste Rollstuhlfahrer werden, der jedes einzelne Land der Welt besucht. Seiner Meinung nach ist dies eine Leistung, die noch nie vollbracht wurde, obwohl es da draußen einige äußerst inspirierende Vorreiter für Behinderte gibt, die wirklich ein Tempo vorgeben, von dem er nur hoffen kann, dass er Ihnen eines Tages nacheifern wird. Auf unserem englischen Magazin repostet er ab und an seine Erlebnisse - und dieses wollte ich Euch nicht vorenthalten. Genial beschreibt es das Reisen mit Behinderung!
Mit einer Behinderung im Rollstuhl Motorrad fahren

Motorradfahren trotz Rollstuhl - EIN SUPER-GEFÜHL

Ein kurzer Moment veränderte sein Leben nachhaltig. Autounfall, Querschnittslähmung. Heute fährt Alexander Lang Gespann. Es war ein schwerer Weg, den Führerschein erneut zu machen und das Gespann aufzubauen. Mit eisernem Willen und Durchhaltevermögen erreichte er sein Ziel. Hier sein Bericht, wie er seinen Gespanntraum verwirklichte. „Es gibt wohl kaum einen Alpenpass, den ich in den letzten Jahren nicht überquert hatte. Leider nie auf dem Motorrad, aber immer als Begleitfahrzeug unserer alljährlichen Motorradausfahrt mit den alten Freunden. Bei jedem Bike wurde es mir warm ums Herz, und die Frage stellte sich, ist es nicht möglich, wieder Motorrad zu fahren?“
Miss America & Ms. Wheelchair Virginia discuss Ehlers Danlos syndrome

Miss America & Ms. Wheelchair Virginia diskutieren über das Ehlers Danlos Syndrome

Ende letztes Jahr hatten wir ein tollen und lustiges Interview mit Ryann Kress der Miss Virginia Wheelchair. Ein toller Wettbewerb, der in den USA einen sehr hohen Stellenwert hat. So hoch, dass sich die Miss America, Miss Virgina über Ihr Krankheitsbild interviewt. Das Interview ist wie immer Ryann sehr kurzweilig. Wir wünschen Euch viel Spaß und das weisen noch darauf hin, dass das Interview in Englisch ist!