Alexander

  • Admin
  • A
  • Team Member
  • T
Bild zeigt eine Gruppe mit Menschen Stehend und im Rollstuhl und Rollator. die Person im Rollstuhl deutet auf etwas

„Die Betroffenen gehören dazugeholt“

Alexander Lang, seit einem Autounfall 1989 auf den Rollstuhl angewiesen, weiß, wie facettenreich und anspruchsvoll das Thema Barrierefreiheit sein kann. In Mühlacker (Baden-Württemberg) hat sich in seinen Augen viel getan, es gibt aber auch noch einige Baustellen zu bewältigen.

Erstellt: 13.04.2024, 00:00 Uhr 

Von Mario Steigleder

Mühlacker. Barrierefreiheit ist ein komplexes Thema. Entsprechende Bemühungen sollen Menschen mit Behinderungen den Alltag erleichtern, stellen Institutionen, etwa öffentliche Einrichtungen, aber auch vor große Herausforderungen. Alexander Lang, selbst auf den Rollstuhl angewiesen, berät Kommunen in Sachen Barrierefreiheit – und wirft auch einen kritischen Blick auf die Mühlacker Innenstadt und ihre Zukunft. 

Herr Lang, was bedeutet für Sie Barrierefreiheit?

Alexander Lang: Jeder kann zu jedem Zeitpunkt an den Ort gelangen, wohin er gerade möchte – und das am besten mit nur ganz wenig oder idealerweise ganz ohne fremde Hilfe. Das bedeutet barrierefrei. Und weil jeder von „Inklusion“ spricht: Barrierefreiheit ist ein wesentlicher Bestandteil der Inklusion, weil sie die Welt öffnet, in die sich die Menschen inkludieren wollen und sollen. 

Im normalen Sprachgebrauch verknüpfen wir meist Barrierefreiheit mit praktischen Umsetzungen wie Rampen für Rollstuhlfahrer oder Ampeln mit Signalen für Blinde. Ist Barrierefreiheit aber nicht vor allem auch Kopfsache – gerade bei denen, die sie nicht brauchen?

Wenn man es weiterspinnt: Jeder Mensch wird von Barrierefreiheit profitieren. Das kann temporär bei einer Verletzung sein, bei Belastungen durch eine Schwangerschaft oder wenn man kleine Kinder hat. Wenn Sie als Eltern mal einen Kinderwagen über eine Treppe gezogen haben, dann wissen Sie, wie schön eine Rampe sein kann. 

Natürlich ist Barrierefreiheit mehr, ob es um Blindheit geht oder sonstige Handicaps, was uns schon wieder wegführt von Rampen und elektrischen Türen. Barrierefreiheit ist für viele – auch, weil hier der bauliche Aufwand relativ groß ist –, vordergründig immer mit Rollstuhlfahrern verbunden. Das blaue Schild mit dem weißen Rollstuhlfahrer steht automatisch für Behinderung. 

Also ist Barrierefreiheit facettenreicher, als sie wahrgenommen wird ...

Auf jeden Fall! 

Sie haben Unternehmen in der Tourismusbranche beraten, jetzt sind Sie für Kommunen im Einsatz. Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Ihren Auftraggebern erlebt?

Ich habe ungefähr bis 2014 Hotels und Touristikunternehmen beraten, und es war für mich als Quereinsteiger teilweise schwierig, deutlich zu machen, dass etwas so nicht funktioniert, wie es gerade praktiziert wird. 

Womit ich mir selbst, aber vor allem auch meine Auftraggeber sich in den Anfangsjahren wirklich schwergetan haben, war einfach dieses Verständnis, denn Behinderung und Krankheit passten nicht in die „happy Time“ eines Urlaubs. Es gab zwar Angebote wie ein barrierefreies Hotelzimmer, das wurde aber nirgends beworben, weil das oft nicht in das heile Urlaubsbild passt. Das hat sich in den letzten Jahren deutlich gebessert. Hier spielt auch der demografische Wandel eine Rolle, denn die ältere Klientel hat Zeit und Geld, erfreut sich aber auch an Hilfen. Ein Haltegriff in der Dusche macht den Urlaub komfortabler und sicherer. 

Gibt es denn einen Aspekt, bei dem Sie sagen: „Hier herrscht überall das gleiche Problem.“?

Es ist wahnsinnig schwer zu vermitteln, dass meine Leistung als selbstständiger Berater auch Geld kostet. Hier tun sich viele schwer, weil das Thema, mit dem ich ankomme, ja eine starke soziale Komponente hat. Es ist eben nicht völlig normal und selbstverständlich, dass ich das tue. Auch ich muss für meinen Beruf viel lernen, schule mich dafür und besuche Weiterbildungen. Es ist unglaublich, dass manche Auftraggeber überrascht sind, wenn ich für meine Beratungsleistungen Geld verlange. 

Deshalb führt etwa mein Weg in einer Kommune nur noch über die Verwaltungsspitze; an anderer Stelle brauche ich gar nicht erst anzufangen. Denn wenn ich merke, dass der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin dahintersteht, ist der Weg offen. Dieser Weg „von oben nach unten“ funktionierte in der Hotellerie übrigens genauso. 

Müssten denn nicht gerade Kommunen eine Vorbildfunktion einnehmen? Immerhin sind sie ja beispielsweise verpflichtet, ihre Internetseiten barrierefrei zu gestalten. Oder ist das eine Aufgabe – provokativ gefragt -, die überhaupt nicht zu leisten ist?

Wenn Sie sich heute die kommunale Entwicklung anschauen, dann ist das ganz anders als vor zehn Jahren. Das Thema ist mittlerweile wirklich verankert. 

Aber man merkt auch, dass viele Kommunen das Thema noch besser angehen könnten. Da sitzt jemand im Bauamt und muss ein barrierefreies Gebäude entwerfen. Wenn man aber Betroffener ist, hat man ganz andere Ansichtspunkte und kann Hilfestellungen geben, die halt auch funktionieren. Wenn ich zum Beispiel von Anfang an ein Projekt mitplane, können von Anfang an Fallstricke vermieden werden, was im Nachhinein teure Folgekosten einspart. Man muss die Betroffenen mit einbeziehen – am besten die, die vor Ort leben. 

Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, hat Anfang 2024 berichtet, dass maximal ein Viertel der Arztpraxen in Deutschland barrierefrei sei. Wie erleben Sie den Arztbesuch?

Ich habe keine freie Möglichkeit, zum Beispiel einen Zahnarzt zu wählen, weil viele Praxen nicht barrierefrei sind. Hier in Mühlacker sind es, ohne mich festlegen zu wollen, zwei oder drei. Bei Hausärzten ist es dasselbe. Ich kann an einer Hand abzählen, zu welchem Hausarzt ich gehen kann. 

Dabei geht es um mehr als nur um die Zugänglichkeit der Praxis. Eine barrierefreie Praxis ist ganz anders aufgestellt, da reden wir etwa über spezielle Zahnarztstühle, über zugängliche Toiletten, über genügend Platz in den Umkleidekabinen. 

Aber auch hier geht es um mein Lieblingsthema Aufwand und Ertrag: Wo macht was Sinn und wo nicht? Natürlich darf man nicht den Anspruch stellen, dass jede Praxis barrierefrei sein muss. Es gibt aber genügend Projekte, an denen wir beteiligt sind und die zeigen: Wenn wir schon rechtzeitig von Anfang mit dabei sein können, ist Barrierefreiheit ein erreichbares Ziel. 

Nehmen wir mal drei konkrete Beispiele: das Mühlacker Rathaus, den Bahnhof und das Hallenbad – wie barrierefrei ist Mühlacker?

Man muss echt sagen, das Rathaus ist in Ordnung. Es gibt die nötigen Toilettenanlagen und den beinahe ebenerdigen Zugang von der Tiefgarage. Vom Konrad-Adenauer-Platz aus gibt es elektrische Türen, für den großen Saal gibt es eine große Rampe. 

Das Hallenbad ist klasse barrierefrei. Wir haben die Rampe am Haupteingang, es gibt tolle große Umkleidekabinen, einen Duschrollstuhl, Spinde auf Sitzhöhe, den abgesenkten Kassenbereich, geschultes Personal. Ins Café geht es zwar nicht, wir werden aber bedient, wenn das Personal oben Bescheid weiß. Und es gibt einen Lifter für das große Becken, der uns das Bahnenschwimmen ermöglicht. 

Der Bahnhof hat eine Aufzuganlage, die ich mit meinem Handbike ab und zu mal ausprobiert habe. Sonst habe ich noch nicht viel getestet, wobei man sagen muss, dass die Bahn im Gleisbereich schon relativ viel mit Leitsystem und Ähnlichem macht. 

Sie haben 2015 – also vor neun Jahren – die Bahnhofstraße einem Praxistest unterzogen. Das Fazit war eher durchwachsen. Was hat sich seitdem verändert?

Was ich gut finde: Das Tiefbauamt hat sich echt in das Thema ÖPNV reingefuchst. Die Umsetzung von Bushaltestellen und Querungsstellen laufen gut. Und auch die Busse, vor allem die Hybridbusse, sind in Sachen Barrierefreiheit super. Aber auch das muss sich noch weiterentwickeln. Wenn man bedenkt, dass die Umrüstung einer Bushaltestelle zwischen 35000 und 70000 Euro kostet, dann ist das bei etwas mehr als 100 Bushaltestellen in Mühlacker schon ein Wort. 

Attraktivität und Zukunft der Mühlacker Innenstadt sind in aller Munde. Es geht um Leerstände, Parkplätze, Verkehr und mehr. Wie sehen Sie die Diskussion mit Blick auf Menschen mit Behinderungen, die ja auch Interesse an einer attraktiven Innenstadt haben? Werden Sie da nicht vergessen?

Ich bin zumindest noch nicht gefragt worden. Vielleicht machen sie es mit der Lebenshilfe oder jemand anderem, ich weiß es nicht. Aber egal wer es sein wird: Die Betroffenen gehören auf jeden Fall dazugeholt. 

Wie kann es funktionieren?

Indem man Menschen in einem Arbeitskreis zusammenbringt. Aber hier muss man natürlich damit rechnen, dass auch mal kontrovers diskutiert wird. 

Helfen könnte etwa ein System, das ich gerade entwickle. Dabei geht es eigentlich darum, dass die wichtigen Wegebeziehungen herausgearbeitet werden, also etwa der Weg vom Bahnhof zum Rathaus oder vom Krankenhaus zum Schwimmbad. Aber auch Flanierstrecken, etwa die Enzgärten oder die Burg, zählen zu diesen strategisch wichtigen Wegebeziehungen. 

Normalerweise gibt es dafür eine Beschilderung, die auf die Barrierefreiheit hinweist. Ich wiederum schlage vor, diese Strecken mit einem „taktilen System“ zu kennzeichnen und sie barrierefrei zu gestalten, also etwa abgesenkte Bordsteine und Tastkanten auszubauen. Diese Planungen sind Teil eines förderfähigen Mobilitätskonzepts, das dann auch als Basis für zukünftige Umbaumaßnahmen dienen kann. 

Sie haben Anfang 2023 einen Spendenaufruf gestartet, um Rollstühle und Rollatoren an ein Krankenhaus in der Ukraine zu vermitteln. Wie läuft das?

Beim ersten Aufruf haben wir innerhalb des Enzkreis eineinhalb Lastwagen zusammenbekommen. Beim zweiten Aufruf, zusammen mit dem Landratsamt Ludwigsburg waren es nochmals drei. Die Erfolge sind das Ergebnis einer tollen Zusammenarbeit mit den Rotariern Enzkreis. 

Die gesammelten Güter gingen alle über Polen in die Ukraine in ein Krankenhaus, das von den Franziskanern betrieben wird. Die Mönche verteilen die Hilfsmittel dann an bedürftige Zivilisten. Von staatlicher Seite hat die Versorgung von Hilfsgütern für die Armee Priorität. Eine tolle Aktion, die wir auch weiterführen möchten. 

 

zur Person:

 

Alexander Lang und „Youlife.Rocks“ 

Alexander Lang ist seit einem Autounfall 1989 querschnittsgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Als selbstständiger Berater unterstützt der Mühlackerer Kommunen bei der Umsetzung von Aspekten der Barrierefreiheit. Bis vor knapp zehn Jahren hat der 57-Jährige Hotellerie- und Touristikunternehmen in derselben Sache beraten. Lang betreibt zudem die Social-Media-Plattform „Youlife.Rocks“. Seit August 2020 können sich hier Menschen mit Handicaps austauschen und gegenseitig Tipps geben. Unternehmen haben zudem die Möglichkeit, sich zu präsentieren. „Youlife.Rocks“ soll eine Social-Media-Alternative für Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen sein. msr 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ihr habt Fragen oder Anregungen? Bitte hier unten in die Kommentare auf YouLife.Rocks!

Im Orginal: Mühlacker Tagblatt vom 13.04.2024 (Link zur Quelle)
Mit freundlicher Genehmigung des Rechteinhabers
Repost auf YouLife.Rocks 26.04.2024 (Link zur Quelle)
Danke dem MT!
Info zu Mühlacker (Link zur Quelle)
Noch nie von Mühlacker gehört? Hier gibts Info zu meiner Heimat!

Dieser Artikel könnte dir auch gefallen...

Bild zeigt Front und linke Seite des neuen Rathaus in Mönsheim

Steuerungsgruppe "Barrierefreies Mönsheim" erarbeitet erste Ortsbegehung

Barrierefreiheit im ländlichen Raum ist eine Herausforderung, welcher sich vor allem kleine Städten und Gemeinden stellen müssen. Die demografische Entwicklung macht es notwendig die Barrierefreiheit als Grundbestandteil der Inklusion aktiv anzugehen und umzusetzen. Eine aktive Mitarbeit von Verwaltung und Bevölkerung verbunden mit dem Know-How eines Beraters bewegt hier etwas. Gerade weil es für kleine Gemeinden meist schwer ist, hier eine Stelle zu schaffen. Mönsheim im Enzkreis stellt sich dieser Herausforderung mit Ihrer Steuerungsgruppe "Mönsheim Barrierefrei".
Mercedes Kombi mit Umbau für Rollstuhlfahrer ein Greifarm bringt den Rollstuhl vom Kofferraum zur Fahrertüre, wo ein Mann auf dem Fahrersitz ist

Barrierefrei unterwegs: Modifikationen für Menschen mit Behinderung!

Barrierefreies Fahren (Fahrzeugmodifikationen für Menschen mit Behinderung) ist seit Jahrzehnten kein ferner Traum mehr, sondern dank moderner Modifikationen Realität für Menschen mit Behinderung. Die Anpassungen reichen von kleinen Änderungen bis zu umfassenden Umbauten, die es ermöglichen, das Fahrzeug sicher und komfortabel zu bedienen. Eine der wichtigsten Anpassungen sind Handbediengeräte für Gas und Bremse, die es Personen mit eingeschränkter Beinfunktion ermöglichen, die Funktionen statt mit den Füßen mit den Händen zu steuern. Die Komponenten dazu werden am Lenkrad oder an einer nahen Stelle angebracht und sind so konzipiert, dass sie leicht zu erreichen und zu bedienen sind. Und für Rollstuhlfahrer sind Rollstuhlrampen und Hebesysteme (Rollstuhlverladesystem) teilweise unerlässlich.